Interview mit dem Künstler Till Steinbrenner aus Hannover zum Thema Kunst in Unternehmen

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Ich möchte in diesem Interview die Frage beleuchten, was Kunst in Unternehmen bewirken kann – oder auch nicht. Heute sitze ich mit dem Künstler Till Steinbrenner aus Hannover zusammen, um mich mit ihm über Kunst in Unternehmen zu unterhalten. Alle Fotos in diesem Beitrag sind von Lotte Lindner und Till Steinbrenner >>>

Guido Kratz:
Till, welche Projekte hast du als Künstler schon in Unternehmen gemacht?

Till Steinbrenner:
Also da muss ich zwei Sachen vorweg sagen, das erste und wichtigste ist, du sitzt nicht mit dem Künstler Till Steinbrenner zusammen sondern mit einem Teil des Künstlerduos Lindner und Steinbrenner, in Person von Till Steinbrenner. Das ist wichtig, und vielleicht auch schon eine gute Einführung, weil diese Teamidee bei unserem Gespräch auch eine Rolle spielen wird. Und dann finde ich es auch gut, dass du diese ganze repräsentative Kunst außen vorlässt, weil ich glaube, die bewirken in Unternehmen – nichts. Gar nichts. Außer dass es schöner aussieht. Aber das kann Wandfarbe auch.

Guido Kratz:
Das ist ja schon mal ein Statement. Dann frage ich noch mal anders. Welche Projekte habt ihr denn als Künstler schon mal in Unternehmen gemacht?

Till Steinbrenner:
Also wir haben tatsächlich so repräsentative Kunst in Unternehmen gemacht. Im Sinne dessen, dass wir zum Beispiel für die Sparkasse in Celle mehrfach und umfangreich Skulpturen und Wandreliefs, Bilder und dergleichen gemacht haben und natürlich auch da schon versucht haben, nicht die Erwartungen zu erfüllen, sondern die Erwartungen zu überschreiten und dadurch so einen kleinen Denkprozess in Gang zu setzen. Aber das wollten wir ja außen vorlassen, finde ich auch gut. Wobei, vielleicht ein kleiner Einschub, das einzige, was man als Künstler, wenn man Unternehmen mit Kunst schmückt, dann doch erreichen kann, ist, dass man in diesem Prozess, in der Kommunikation mit den entsprechenden Mitarbeitern, meistens auch mit der entsprechenden Führungsetage, durch die Kommunikation einfach über die Arbeit, die man zu machen gedenkt so ein paar Gedanken in Gang setzen kann. Eben auch mal darüber sprechen kann, dass es nicht nur um Schönheit geht, sondern dass es auch um andre Aspekte gehen kann, wenn man Kunst in Unternehmen bringt.

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Nicht als Teil des Duos Steinbrenner/Lindner, biete ich Bildhauerkurse an für das Unternehmen Rossmann, wo sich alle Mitarbeiter potenziell anmelden können. Einige werden ausgesucht, relativ zufällig ausgesucht. Das können Filialmitarbeiter, Kassierer und Kassiererinnen sein, das kann aber auch jemand aus der Führungsetage sein. Ein Wochenende haut man dann munter Steine. Tatsächlich ist es zum Beispiel bei Rossmann so, dass die, weil der Chef selber umfangreiche therapeutische Sachen ausprobiert hat, dass die da recht weit gehen. Der Chef sagt zum Beispiel dann, dass alle, die eine bestimmte Führungsaufgabe innehaben, zum Beispiel Bezirksleiter und so was, die müssen etwas machen, das Jahresgruppe heißt. Das heißt sich treffen, ein Jahr lang fünfmal ein Wochenende in einer Gruppe von ungefähr 15 Leuten miteinander zu agieren in verschiedenen Zusammensetzungen und Settings und aber auch sich auszuprobieren. Der erste Baustein der fünfteiligen Jahresgruppe ist immer ein Bildsauerseminar. Da treffen sich dann 15 Leute, die haben alle noch nie einen Stein bearbeitet. Außer sie waren zufällig mal in der „freien Steinegruppe“ – die es auch gibt. Hauen einfach ein Wochenende auf einen großen Stein mit meiner Anleitung. Und probieren sich handwerklich und künstlerisch aus. Da geht es um Aspekte von Ausdauer, da geht es um Aspekte von Teamwork, da geht es um Frustrationstoleranz, da geht es natürlich auch um Kreativität. Da geht es um wie weit lässt man zu, dass die Aktivität nicht vorbestimmten Formaten folgt, sprich kann man als Mitarbeiter, der auf einen Stein haut, zulassen, dass es nicht eine Eule, ein Seeigel oder ein Brunnen wird, sondern einfach etwas, was man vielleicht gar nicht gleich benennen kann, vielleicht auch schwieriger rechtfertigen kann. Und da sind wir eigentlich recht weit drin in der Frage, was Kunst machen kann. Kunst kann, glaube ich, in Unternehmen oder bei Menschen erst mal – und Unternehmen sind ja aus Menschen zusammen gesetzt – den Gedanken erwecken und am Leben halten, dass es mehr gibt, als unmittelbar Nutzbringendes. Das nicht nur Sachen gut sind, die unmittelbar und am besten noch am selben Tag sich in der Kasse niederschlagen. Unterm Strich, dass auch Sachen gut sein können, die andere länger wirkende und vielleicht noch nicht gleich nachvollziehbare Prozesse in Gang setzen.

Guido Kratz:
Aber was genau soll das eigentlich einem Unternehmen bringen? Normalerweise ist es ja so, dass man sagt, man will den Umsatz erhöhen, oder man will die Effektivität einer Einheit oder eines Teams erhöhen. Das lässt sich ja immer in Zahlen, Abschlüssen oder sonstigen Dingen messen. Warum sollte es einem Unternehmen irgendetwas bringen, sich jetzt mit solchen Dingen auseinander zu setzen, wie zum Beispiel etwas zu machen, was von vorne herein gar nicht feststeht, was nicht eine Eule oder ein Aschenbecher wird. Es gibt also nichts praktisch Verwertbares, sondern etwas, das im Bereich der Kunst angesiedelt ist. Warum soll das einem Unternehmen etwas bringen?

Till Steinbrenner:
Da kann ich gleich meinen ersten Satz loswerden, das ist glaube ich ein Zitat, ich weiß aber nicht von wem. “Das, was die Kunst in die Welt und auch in Unternehmen tragen kann, ist die Idee und die immer wieder auftauchende und wieder gestellte Frage: Dass nichts, aber auch nichts, notwendigerweise so sein muss wie es ist.“ Also ich will sagen in Unternehmen sind die Abläufe definiert, und wenn das Unternehmen schon lange existiert, sind sie auch irgendwann festgefahren in der Regel. Und der Künstler – da können wir auch noch nachher auf Beispiele kommen, hat sich zum Beruf gemacht, das er immer wieder Fragen stellt: “Muss das so sein?“ Geht das nicht auch anders? Kann man das nicht auch anders sagen, denken, formen, definieren, bearbeiten?“ Und genau diese elementare, den Künstler in meinen Augen definierende Freiheit des Geistes ist es, die, glaube ich, ein guter und wichtiger und sozusagen auch aufrüttelnder Beitrag überall sein kann – und im Unternehmen eben auch.

Guido Kratz:
Es wird heute viel von Veränderungsprozessen geredet. Durch die Globalisierung, durch die Internationalisierung, und dadurch, dass sich die technischen Möglichkeiten weiterentwickeln – also jeder ist in seinem Berufsleben Stress ausgesetzt. Die Dinge, die früher so waren, haben sich jetzt in eine ganz andere Richtung entwickelt. Davon sind natürlich auch Unternehmen betroffen. Wenn ich das jetzt so verstehe, dass der Künstler eigentlich von Berufs wegen dauernd auf Veränderungsprozesse guckt, beziehungsweise, dass er die ja sogar möchte, dann wäre ja sein Bestreben, diese auch in einem Unternehmensablauf zu entdecken, für ein Unternehmen ja sinnvoll.

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Till Steinbrenner:
Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, und das ist verschiedentlich auch passiert, ich komm gleich drauf, ich könnte mir vorstellen, dass ein Künstler gar nicht als Werke erschaffender, sondern als Beobachter in einem Unternehmen tätig sein könnte. Eben nicht wie ein Unternehmensberater, der ja auch nur wiederum in finanzoptimierenden Prozessen festsitzt, die seine Aufgabe sind. Das ein Künstler in irgendeinem Unternehmen, ich sag jetzt mal einer Versicherung tätig ist. Lass ihn mal ein Jahr ein Stipendium haben im Unternehmen, ein Büro in der zweiten Etage, wo alle mal rein gucken können, die Lust haben, eine große Kaffeemaschine, ein Tisch an den man sich setzen kann, besser noch ein Sofa auf das man sich setzen kann, gern auch ein Kühlschrank voller Wein. Und lass den da sein und lass den einen Schlüssel, mit dem er die meisten Türen aufkriegt, gern auch alle, und lass den mal die Nase überall reinstecken. Der muss gar nicht mitreden, der muss nur mal zuhören, beobachten. Und gelegentlich kann man den Künstler mal Fragen was er eigentlich zu dem denkt was da so passiert. Ich glaube, dass das wirklich bahnbrechende, andere, neue, erschütternde, intelligente, interessante Blicke in so ein Unternehmen möglich macht. Weil ich glaube, dass der Künstler einer der Berufe ist, die den größten möglichen Abstand zu einem Unternehmensablauf haben. Der Künstler ist meistens alleine, der Künstler denkt sehr, sehr breit. Der Künstler denkt, wenn er gut ist, fern von Konventionen und das ist, glaube ich, etwas, was tatsächlich in der normalen Unternehmenskultur schnell unter die Räder kommt, wo es nur um Optimierung geht, wo es genau darum geht, Routinen eben einzuführen ohne zu hinterfragen oder zu präzisieren, und an der Stelle kann das sehr sinnvoll sein. Es gibt einen Künstler, Armin Chodzinski, der irgendwann für sich selbst behauptet hat, er könne genauso gut auch, ich glaube es war in der Metro, er könne genauso gut dort arbeiten, wie jemand der das studiert hat. Der hat es angefangen und er hat sich in kürzester Zeit bis in die aller höchste Unternehmenshierarchie vorgearbeitet. Weil er einfach in der Lage war, die Dinge anders, schneller, kürzer zu präzisieren, als das die waren, die das gelernt haben, wie man das macht. Und der hat dann nach einem Jahr, glaube ich, als ihm dann eine der höchst möglichen Beförderungsstufen vorgeschlagen wurde, gesagt, nein, das war jetzt mein Projekt, schönen Dank. Ganz interessant, da gibt es auch ein Buch drüber: „Vom gutgekleideten Tätigsein, widerständigem Tanzen und liberalen Städten“

Guido Kratz:
Das würde bedeuten, dass der Künstler eine Befähigung hat, weil er nicht durch Scheuklappen behindert wird. Er sieht viel mehr Dinge, die die in dem Unternehmen tätigen nicht sehen können in ihrer täglichen Arbeit.

Till Steinbrenner:
Wir reden von in ihrer Arbeit guten Künstlern, es gibt ja auch Künstler, die genauso routiniert in ihrem kleinen drei Pinselstrichen festsitzen wie das der Kassierer im Aldi auch macht, wenn es schlecht läuft. Und genauso gibt es auch beim Aldi Kassierer, die in der Lage sind, über ihren Tellerrand zu gucken. Aber das über den Tellerrand gucken ist eben eine Disziplin, die dem Künstler mehr beigebracht wird als den Kassierer, deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass er es abrufen kann, einfach größer.

Guido Kratz:
Der Künstler sieht die Dinge also etwas freier und unbehinderter. Wobei jetzt auch festgestellt werden müsste, auf welche künstlerische Art und Weise, zum Beispiel in Ton, Bild oder Bewegung.

Till Steinbrenner:
Meinst du mit Ton Keramik oder Geräusch?

Guido Kratz:
Geräusch, Geräusch! Und Bild! Musik und Bewegung, das meinte ich damit. Und weiter, wo sind die Schnittstellen? Es ist ja eine Schwierigkeit, wenn ich in einer anderen Sprache rede, also der künstlerischen, zu Menschen, die mit Kunst gar nicht soviel am Hut haben. Die in ihrer täglichen Routine stecken und ihre Arbeit machen wollen. Wie transportiert man das dann?

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Till Steinbrenner:
Naja, man hat ja eine gemeinsame Sprache, das ist hier dann das Deutsche, man kann auch aufs Englische schwenken und das reicht sehr weit, wenn man sich dem ein wenig sorgfältig bedient. Das Problem ist, glaube ich, weniger in der Sprache. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein Künstler die Atmosphäre in einem bestimmten Betriebsteil malerisch erfasst und die Veränderung dann auch wieder malerisch erfasst. Wenn man es dann anguckt und schaut, ob es dann vielleicht in dem einen Fall sich alles grau in grau anfühlt und nun wird’s farbig, nur um ein Bild zu sagen. Aber ich glaube auch, dass Sprache sinnvoll sein kann. Für mich sind Künstler ja nicht so sehr „Dingehersteller“. Für mich sind Künstler eigentlich Freiheitsforscher. Das ist für mich das, was einen Künstler definiert. Ein Künstler probiert immer wieder neu aus, was schon ausprobiert ist, scheitert, rappelt sich auf, versucht es von neuem und verfällt eben nicht darauf, einer Routine zu folgen, wie das ein Betrieb notwendigerweise tun muss. Wenn die feststellen, die Rohre müssen nur so oder so zusammenpassen, dann machen sie es eben immer so. Ich glaube das ist etwas, was man vom Künstler idealerweise abrufen kann. Es ist die Frage, in welcher Form. Ich glaube das Wesentliche ist, dass der Betrieb, der den Künstler einlädt, sich nicht mit einem Künstler schmücken will. Das tut auch ein Malermeister, sondern der muss sich auf ihn einlassen. Wirklich einlassen.

Und das heißt, dass er ihm ein Büro im zweiten Stock gibt mit einem schönen Ausblick und einer Kaffeemaschine und einem Weinkühlschrank und sagt: „Mach! Interagiere du mit diesem Betrieb wie es dir gefällt. Wenn ich dann das Gefühl habe, das du die Arbeit gerade stark behinderst, kann ich dir das sagen. Das ist mein Recht. Und ansonsten ist dein Recht, immer zu sagen, da läuft was nicht, wie es soll und fühlt sich komisch an: das könnte anders sein, das könnte geschmeidiger sein, das könnte irgendeine Regel brechen um einen neuen Grad an Intelligenz zu erreichen, in irgendeiner Weise.“

Guido Kratz:
Ja, aber das Unternehmen denkt ja in einer anderen Art und Weise, das ist ja meistens der Fall. Das habe ich ja selbst schon oft erlebt, das Unternehmen denkt eher in der Kategorie, Abläufe zu optimieren oder den Umsatz zu erhöhen. Oder wozu ja öfter Künstler eingeladen werden, zu Unternehmensfusionen, wenn verschiedene Kulturen zusammen wachsen sollen. Da werden für die sogenannten „Soft Skills“ dann Künstler eingeladen, um die „Soft Skills“ ein bisschen besser zu entwickeln. Das sind also ziemlich genaue Vorstellungen, die von Unternehmensseite da sind, die besser werden sollen oder entwickelt werden sollen. Während der Künstler ja nun nach deinen Vorstellungen erst einmal diese Vorgaben nicht hat.

Till Steinbrenner:
Idealerweise ja.

Guido Kratz:
Es könnte dann ja so sein, das der Künstler sagt, es ist mir ganz egal, ich will ja hier nur Kunst machen. Ihr wollt Unternehmen machen, ich will Kunst machen. Dann haben wir einen Interessenkonflikt!

Till Steinbrenner:
Es gibt einen schönen Satz von Henry Ford: Henry Ford hat gesagt, „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie sich wünschen, hätten sie gesagt sie wünschen sich schnellere Kutschen.“

Guido Kratz:
Den Satz kenne ich, ja.

Till Steinbrenner:
Das wäre also kein Stück vorangegangen. Man muss eben an der Stelle nicht im System bleiben, sondern das System einfach radikal verlassen und von einer ganz anderen Seite ran gehen und gucken, was kann man machen. Und dann kommst du aufs Auto. Und man kann jetzt nicht sagen, dass das Auto eine wirtschaftlich schlechte Erfindung gewesen wäre. Man kann über andere Folgen nachdenken, aber wirtschaftlich war es ein echter Erfolg. Und das ist der Moment von Freiheit, den man sich nehmen muss. Gucken, dass man eben nicht im System bleibt, sondern dass man radikal damit bricht und ganz anders drauf guckt, und ich glaube – vielleicht können das auch wahnsinnig gute Unternehmensberater, ich zweifle aber daran – Künstler können das, wenn sie gut sind. Ich weiß zwar nicht, ob dann etwas heraus kommt, was man sich an die Wand hängen kann, oder ins Foyer stellen kann, für die Lobby. Aber ich weiß auch nicht, ob das, was da oft an den Wänden oder im Foyer hängt und glänzt, immer Kunst ist.

Guido Kratz:
Gut, die Frage können wir jetzt hier nicht weiterverfolgen. Ich würde den Blick trotzdem gerne noch einmal auf etwas anders lenken. Das, was du jetzt beschrieben hast, ist ja eher der Künstler, der im Unternehmen quasi als Gegenpol zum Unternehmer arbeitet. Im günstigsten Fall als positiver Gegenpol und aus dieser Spannung kann dann das Auto entstehen, wo alle vorher nur an Kutschen gedacht haben. Ich denke jetzt aber auch an die vielen Kunstworkshops, die gegeben werden, mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Das heißt, da kommt jemand, der hat eine künstlerische Technik, sei es jetzt Theater, Musik, bildende Kunst oder, wie ich selbst, Keramik, und macht jetzt mit zwei oder hundert Mitarbeitern eben etwas, das sich dann hinterher Kunst nennt oder künstlerisches Arbeiten. Wie siehst du das: Sind die Arbeiten, die dort entstehen mit den Mitarbeitern, ist das Kunst oder ist das Unterhaltung? Bewirkt das auch Veränderungsprozesse? Kann das irgendetwas lösen im Unternehmen?

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Till Steinbrenner:
Also das ist keine Kunst, das ist Selbsterfahrung. Würde ich so sagen. Aber das muss auch keine Kunst sein. Es geht ja auch nicht darum, dass man die Mitarbeiter des Unternehmens dazu bringt, dass sie Künstler werden. Das ist ja gar nicht gefragt und warum auch? Die machen ja ihre Aufgaben ganz prima, und die haben sich das ausgesucht und das sollen sie auch weiter machen. Und der Künstler bleibt der Künstler. Das finde ich gar nicht schlimm. Ich glaube dass, natürlich, ein Teil Selbsterfahrung ist. Und dass man in diesem Selbsterfahrungsprozess auch lernt über Grenzen zu gehen. Wir hatten das vorhin mit dem Steine hauen! Es ist tatsächlich toll, wenn man einen Steinkurs macht und hat da drei große Jungs die irgendwie Haurucke, Zickzacke den Stein bearbeiten und machen können was sie wollen. Aber es passiert nicht so richtig etwas und am Ende wird es dann doch nur eine Schildkröte oder eine Eule oder nichts. Und dann gibt es Verzagte und Zögerliche, die, irgendwie, wenn man sie ein bisschen ermuntert, am Ball bleiben und sich durchfressen. Um am Ende zu Sachen zu kommen, die sie sich niemals zugetraut hätten. Und doch etwas über sich hinauswachsen sind, ein Stück weit. Und in der Gruppe die Erfahrung machen, dass der, der am meisten Krach macht, durchaus nicht zum besten Ergebnis kommt, sondern dass unter Umständen da ganz hinten links, fast nicht sichtbar etwas passiert, was man am Ende des dritten Tages betrachtet und sagt: “Ey, Gabi, das ist ja irre! Das hab ich gar nicht gesehen! Na das ist ja stark! Wie nennst du denn das? Was ist denn das? Sieht toll aus!“ Und da können dann Sachen passieren, die wirklich interessant sind. Die sich dann auch vortragen in die nächsten vier oder fünf Sessions. Das kriege ich dann rückgemeldet von den Betreuern, die die Gruppen das ganze Jahr durchgehend betreuen. Das ist schon stark, das ist einen Form von Ermächtigung im wahrsten Sinne. Man gibt dem Menschen ein Setting, in dem er seinen eigene Stärke, die er vorher gar nicht kannte, erfahren und ausleben und in Vergleich setzten kann zu anderen, die große Stärke behaupten, aber sie unter Umständen gar nicht inne haben.

Guido Kratz:
Wann ist ein künstlerischer Prozess in einem Unternehmen denn ein Erfolg? Es ist natürlich die Frage, wie definiert man Erfolg? Daran hängt das ja letztendlich. Bei Einem könnte es ja sein, wenn man tatsächlich den Prozess bis zum Ende gegangen ist, egal was dabei heraus kommt, dann war es ein Erfolg. Wenn es nicht vorher abgebrochen wurde, zum Beispiel.

Till Steinbrenner:
Der Unternehmer sagt, es ist ein Erfolg, wenn der Umsatz gestiegen ist. Fertig. Das ist der einzige Maßstab unternehmerischen Erfolgs.

Guido Kratz:
Ja gut, aber das war jetzt nicht meine Frage.

Till Steinbrenner:
Ich sage Erfolg ist, wenn ich einzelne, idealerweise alle, auf irgendeine Weise gestärkt habe. Gestärkt auch darin, sich zu trauen, Sachen nicht immer auf die gleiche Art und Weise anzugehen, sondern auch mal mit einem kleinen tänzelnden Schritt nach links oder rechts oder mal einen große Ausfallschritt. Das ist stark davon abhängig, ob man es annehmen kann oder umsetzen kann. Es gibt Unternehmen, die betreiben das nur als Dekor und die wollen das gar nicht. Es gibt auch Unternehmen, die lassen das zu, dass sich so ein Einfluss, mindestens ein Stück weit auswirkt.

Ich glaube, ich kann es nicht beurteilen. Ich habe es nicht mitgemacht, dass was der andere Drogeriebaron, der von DM, macht, der sehr, sehr umfangreich, mit Tanzworkshops und so was, alles nach Steiner – da bin ich ein bisschen skeptisch, aber egal – dass der tatsächlich da ziemlich breit ran geht. Da glaube ich, dass sich diese Aktivitäten auf die Selbstwahrnehmung, das innerbetrieblich Klima und auch die Kreativität im Blick auf die eigene Arbeit auswirken. Und alleine der Aspekt Selbstbewusstsein: Allein der Aspekt, wenn ich im Betrieb mit Leuten künstlerisch arbeite, und die irgendwelche, nicht vorhersehbare, Erfolgserlebnisse haben, dann ist das immer eine Stärkung. Und ein stärkerer Mitarbeiter ist nach meinen Dafürhalten immer ein besserer Mitarbeiter.

Guido Kratz:
Auf jeden Fall. So würde ich Erfolg auch sehen. Aber können noch andere Fähigkeiten von Mitarbeitern durch Kunst verbessert werden? Im Sinne des Erfolgs?

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Till Steinbrenner:
Ich würde es nicht so kurz denken. Das Problem ist, dass alles, was in Betriebszusammenhang und Optimierungsprozessen läuft, auf unmittelbare Sichtbarkeit gestrickt ist. Und das ist als Gedankenvorgang unkünstlerisch. Das künstlerische ist etwas, was nicht zielstrebig ist. Ich mache nicht etwas, um heute noch zum Punkt A oder zum Punkt B zu kommen, sondern ich setze den Impuls und sehe was passiert. Beobachte das und folge dann dem, was da passiert. In der Forschung gibt es den großen Unterschied zwischen zielgerichteter Forschung, also ich versuche den Reibungsvorgang einer Hinterachse zu optimieren, und Feldforschung. Ich schieße ein Teilchen ab, und das kommt dann irgendwo an und es passiert etwas. Ich weiß gar nicht was, und mal gucken sagt mir das was – meistens aber nicht. Aber wenn, dann ist es unter Umständen bahnbrechend. Alle großen Fortschritte sind auf Feldforschung zurückzuführen. Alle wirklich großen Errungenschaften sind auf Feldforschung zurückzuführen. Und alle Optimierungen sind auf diesen Optimierungsvorgang, der eben auch nötig ist, zurückzuführen. Und ich glaube, dass Kunst, sozusagen diese Idee von Ziellosigkeit, die auch in der Feldforschung elementar ist, auch in Unternehmenskultur einbringen kann. Diese Idee von einfach einen Impuls setzen. Das könnte unter Umständen auch ein zerstörerischer sein. Ich könnte unter Umständen hingehen und könnte mich von Volkswagen einladen lassen und könnte im vierzehnten Stock in der Hinterachsen Entwicklung einfach ein Büro abbrennen als Künstler und das könnte einen Impuls bringen, der vielleicht gut ist. Weiß ich nicht, wäre mal so ganz radikal gesprochen.

Guido Kratz:
Du müssten dann nur dafür sorgen, dass man es dann in dem riesigen Werk auch bemerkt.

Till Steinbrenner:
Das bemerken die. Wenn es da raucht, dann bemerken die das.

Guido Kratz:
Okay. Ich will trotzdem noch mal so eine kleine Abgrenzung oder Präzision vornehmen. Es heißt ja Kunst in Unternehmen. Ich habe ein wenig recherchiert und Kunst ist ja ein weites Feld. Es geht über Musik, über Tanz, über Theater, bildende Kunst, Malerei, Film und so weiter. Und wenn ich jetzt an so ein erfolgsverwöhntes Unternehmen wie VW denke, und denke dann mal an einen Star-Pianisten. Der hätte ja unter Umständen ein ganz anderes künstlerisches Ziel, oder hätte eine ganz andere Vorbildfunktion. Zum Beispiel das Vorbild des Übens und Trainierens, um richtig gut zu werden. Während das, was du beschreibst, die freie Kunst, ja nicht unbedingt an ein Material oder eine Vorgehensweise gebunden ist. Das sind ja noch einmal zwei verschiedene paar Schuhe, habe ich den Eindruck. Da fehlt mir jetzt noch irgendwie die Klammer.

Till Steinbrenner:
Ich muss es mal versuchen auseinander zu kriegen, mal ins Unreine sprechend: also der Startpianist, der in einem Unternehmen auftritt, der ist für sich höchst vergnüglich, aber das können die auch woanders machen. Aber vom Effekt her ist es null. Es ist schön und schönen Dank Chef, dass du mich eingeladen hast.

Guido Kratz:
Aber es ist Kunst in Unternehmen.

Till Steinbrenner:
Ja, aber das ist Deko. Reine Dekoration. Da schmückt sich der Unternehmer damit, dass er es sich leisten kann, einen Starpianisten, macht Rossman übrigens auch regelmäßig, einen Starpianisten einzufliegen und zu sagen, ich hab hier Sir Simon Rattle und die London Philharmoniker für zwei Millionen eingeflogen und die spielen jetzt mal für euch! Und eigentlich hol ich mir selbst einen runter dabei. Das ist glaube ich, Deko. Bringt keinem irgendwas. Bringt vielleicht, nach so einem amerikanischen Gedanken, dass man sagt, wie cool, der ist so reich, echt, der kann sich das leisten, da will ich auch hin, aber Gott, welche Kassiererin erreicht das, keine. Nein, das ist Selbstbefriedigung.

Guido Kratz:
Ja, aber es könnte doch auch der Gedanke sein, wollen wir mal bei der Kassiererin bleiben, jemand, der so gut Klavier spielen kann und den Leuten was von dem Klavier spielen vermittelt, dass das eben ein Ansporn ist, sich auch musikalisch zu betätigen.

Till Steinbrenner:
Ahh, glaube ich nicht. Nein, halte ich für völligen Quatsch. Ich glaube nicht, dass irgendwer, der ins Museum geht und sich den Picasso anguckt deswegen anfängt zu malen. Glaube ich nicht.

Guido Kratz:
Doch einige gibt es schon. Vielleicht nicht die Regel, aber es gibt solche Menschen.

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Till Steinbrenner:
Ja kann sein, aber dann malt der halt und dann ist er halt ein genauso guter Kassierer und malt nebenbei. Hhm, wo führt das hin? Ich glaube, jetzt muss ich es auseinander klamüsern, das fällt unter den repräsentativen Aspekt, genau wie eine große Skulptur in der Lobby, die jedes DAX Unternehmen irgendwo hat. Darunter fällt übrigens auch, dass die Sparkassen tonnenweise Kunst aufkaufen und in ihre Flure hängen, das ist auch nur Deko. Das ist insofern schön, als dass es dem Künstler dient, dem Unternehmen dient es gar nicht, da könnten die viel mehr für haben für ihr Geld. Wenn die Sparkassen das Geld, was sie in die Kunst stecken, als Gewinn auch für sich würden verbuchen wollen, dann würden sie mit den Künstlern anders agieren. Dann würden sie mehr probieren, riskieren und dann könnte mehr bei rumkommen.

Nee, ich glaube, das es tatsächlich bei Kunst in Unternehmen nicht um künstlerische Werke im Unternehmen gehen kann, das kann am Ende einen Art Manifestation sein dessen, was gewesen ist, aber das ist unwichtig. Es kann nur gehen um künstlerische Strategien in Unternehmen, künstlerische Strategien mit Menschen, mit Vorgängen. Das ist das, was da interessant ist, wenn Kunst, Künstler im Unternehmen tätig werden.

Ein Zwischenschritt wäre Partizipation, das heißt, ich mache etwas und lasse die Menschen zugucken. Oder ich mache etwas und lasse die Menschen teilnehmen daran, mache es mit ihnen zusammen. Deine Netzwerkbilder sind so etwas, zum Beispiel. Ich finde, das ist ein ganz guter Zwischenschritt: Ich mache mit und sehe dann das große Ganze entstehen. Das Problem ist, dass das oft als Bonbon wahrgenommen wird, und dann ist der Bonbon abgelutscht und dann geht es ganz normal weiter am nächsten Montag. Drüber muss man im Grunde genommen hinaus kommen, wenn man wirklich profitieren will von dem, was Kunst bieten kann.

Guido Kratz:
Ich habe da mal eine ganz andere Geschichte erlebt. Ich habe mit mehreren Abteilungen aus einem Möbelunternehmen ein Netzwerkbild gemalt. Dieses Netzwerkbild war dazu bestimmt auf der Kölner Möbelmesse auf dem Messestand ausgestellt zu werden. Es waren etwa 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die malten dort zusammen ein sehr abstraktes Bild. Drei Marken sollten zusammengeführt werden. Das war ein Unternehmen, das eine Fusion hinter sich hatte und an diesem Messestand sollte das Unternehmen zum ersten Mal als fusioniertes Unternehmen gemeinsam auftreten. Die vorher verschiedenen Möbelmarken sollten ein größeres „Wir“ werden. Das war die Aufgabe dieses Netzwerkbildes. Als dann das Netzwerkbild an diesem Messestand hing, war es tatsächlich so, dass die Architektin, die den Messestand geplant hat, bemerkte, dass das Netzwerkbild den Plan des Messestandes abgebildet hat. Ein gewissermaßen magischer Moment, weil beim Malen niemand von dem Plan des Messestandes Kenntnis hatte. Trotzdem bildete dieses Bild eben diesen Messestand ab. Irgendetwas war passiert, so nahmen es die Mitarbeiter hinterher wahr. Das war ein Punkt, der als sehr, sagen wir mal „kunstmagisch“ wahrgenommen wurde.

Und der andere Moment war, das haben mir hinterher Mitarbeiter erzählt, sie sind dann auf dem Messestand auch auf dieses Bild angesprochen worden. Sie haben den Besuchern erklärt, was das für ein Bild ist und haben sich das erste Mal so gefühlt wie ein Künstler, der sein Werk erklärt. Das haben sie als vertiefenden Moment wahrgenommen. Das finde ich einen sehr positiven Aspekt, weil man einerseits etwas Übergreifendes erlebt hat, was rein mit dem Malen des Bildes zusammenhing, und das wurde wieder in die Messesituation transportiert. Trotzdem hing es an diesem Bild und war nicht nur einfach ein offener Prozess, der kein sichtbares Ergebnis hatte, sondern es war ein Ergebnis das sich materialisiert hat. Ob das zur Umsatzsteigerung beitragen hat, kann ich nicht sagen, das kann letztendlich keiner sagen, aber es hat zu einem Wir-Gefühl geführt.

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Till Steinbrenner:
Das Wir-Gefühl, das nehme ich, das finde ich gut. Wenn es nicht entstanden wäre bei so einer konkreten Aufgabe „bitte malt die Fusion von drei Marken“ – was ich eine grauenvolle Aufgabe finde, wirklich grauenvoll – dann hätte ich es noch lieber genommen. Wenn das Wir-Gefühl entstanden wäre bei irgendeiner Idee, sich auf irgendeine andere Weise ausgedrückt hätte als bei so einer konkreten Aufgabe! Drei Marken die haben dann auch Logos, dann ist man so sehr in dem sowieso vorhandenem System und bleibt da auch drin, dass man die Kunst gar nicht ganz ergreift.

Die Chance wäre doch ergriffen, wenn ich den Mitarbeiter nehme, das bist jetzt du und sage: „Hören sie zu, Herr Kratz, wir sitzen jetzt hier in der Revision Unterkontrolle seit fünfunddreißig Jahren. Heute ist der Tag! Sie haben jetzt alle Möglichkeiten, die Sie sich vorstellen können und auch alle, die Sie sich bislang nicht vorstellen können – Sie müssen das erst einmal erfassen, das dauert ein bisschen – Sie können machen was Sie wollen: Sie können das Gebäude in die Luft sprengen, Sie können Ihrem Chef in die Eier treten, Sie können sich eine rote Nase aufsetzen und können in der Kantine immer im Kreis laufen auf dem Tisch, Sie können einfach nur einführen, dass es nie wieder Kohlrabi gibt, Sie können wahlweise alle Wände grün anmalen oder ein Loch bohren, vom obersten Stockwerk bis ins unterste und können da Kaffee durchtropfen lassen der unten ankommt, aber kalt. Sie können machen was sie wollen. Genießen sie das Gefühl, nehmen Sie das wirklich wahr. Stellen Sie sich vor, Sie haben wirklich, wirklich alle Möglichkeiten. Ich hab mit Ihrem Chef gesprochen, der hat gesagt, der Mann, der Kratz, der hat jetzt für heute, und wenn es eine Million kostet, alle Möglichkeiten. Was tun Sie?“

Da fängt Kunst an, für mich. Ich erzähle dir mal von einer künstlerischen Arbeit, die für mich bahnbrechend ist, total bahnbrechend. Da muss ich ein bisschen ausholen. Der Vater einer Studentin von mir, selber Künstler, aus Ungarn kommend, hatte hier einen Job bei der Wach und Schließ, und macht immer nebenbei Kunst, irgendwelche Interventionen. Der hat in einem Drogeriemarkt, lustigerweise war es ein Drogeriemarkt, einen Schlüssel gefunden, an dem kenntlich war, dass er einer Mitarbeiterin gehört hat. Der hat diesen Schlüssel mitgenommen nach Hause und hat den Schlüssel, der offensichtlich für den Drogeriemarkt ist, abgemacht, und hat den ersetzt durch einen präzise nachgeformten Schlüssel aus Wachs, haargenau. In Form und Farbe alles haargenau. Und hat ihm am nächsten Tag genau da hingelegt, wo er ihn gefunden hat. Jetzt stell dir vor, diese Mitarbeiterin geht abends los und will den Laden mit ihrem glücklich gefunden Schlüssel zuschließen, schiebt ihn ins Schloss, und der zermatscht weil er aus Wachs ist. Für diese Frau ist das gesamte Wertesystem in den Glauben an Festigkeit von Materie für immer erschüttert, für immer! Das ist für mich Kunst. Diese Frau hat für immer, für immer, für immer garantiert das Gefühl: “Man kann nie wissen“. Weil die kann sich das nicht erklären. Der Schlüssel lag da ja. Und die kann sich nicht gut vorstellen, dass da ein Künstler aus Ungarn ist, der aufgehört hat als Künstler zu arbeiten und bei der Wach und Schließgesellschaft arbeitet, der diesen Schlüssel nachgemacht hat. Das kann die sich nicht vorstellen. Niemals, nicht mal, wenn man es ihr sagen würde. Die hat einfach eine Erfahrung gemacht, die wird für immer unerklärt bleiben.

Guido Kratz:
Ja hast du tatsächlich eine Rückmeldung gekriegt, was sie für eine Erfahrung gemacht hat?

Till Steinbrenner:
Das schöne ist, keiner weiß es. Aber es ist möglich. Also ich, wenn ich den gefunden hätte, ich wäre in den Grundfesten meines Glaubens für immer erschüttert. Ich wäre im besten Falle nie darauf gekommen, dass es ein Künstler war und würde jeden Tag eine Stunde lachen darüber, bis ans Ende meines Lebens. Das ist großartig und so weit, im großen wie im kleinen, muss man denken können, und ich finde das ist eine extrem künstlerische Frage zu einem Mitarbeiter zu gehen und eigentlich zu jedem, und sie dürfen nicht wissen voneinander, und ihnen zu sagen du hast alle Freiheiten, alle. Du hast wirklich alle Freiheiten. Und es bleibt alles unter uns. Alle Freiheiten, was machst du?

Guido Kratz:
Gute Frage, ich wüsste es im Moment nicht. Ich müsste es mir erst einmal überlegen.

Till Steinbrenner:
Ich würde bei den ersten drei Antworten erst einmal sagen: Längst nicht weit genug gedacht! Ich gebe dir noch einen Tag, mach weiter. Ich gebe dir noch einen Woche, ein Jahr, egal, mach weiter. Gib richtig Gas. Sei richtig, sei wirklich, das ist für mich Kreativität und am Ende Kunst. Wenn es gut läuft.

Guido Kratz:
Also ich würde sagen, Kunst, ja Kreativität, kann auch schon eine ganz kleine Sache sein, das würde sonst die Kreativität zu sehr ins Utopische hieven. Und alles was man vorher auch kreativ machen kann, wäre dann ja nichts mehr wert.

Till Steinbrenner:
Nee, das will ich gar nicht sagen, jeder Schritt ist ja auch etwas wert. Ich will dir einmal die Kernfusion darstellen, um zu sagen wohin es theoretisch gehen könnte. Weil das, wo hin es gehen könnte, ist nicht, dass ich dann nachher ein Bild an der Wand habe. Denn wohin es gehen könnte ist wirklich die Kernschmelze im Denken und Handeln.

Guido Kratz:
Tja, aber wer will die Kernschmelze in Denken und Handeln einkaufen?

Till Steinbrenner:
Ich!

Guido Kratz:
Wenn du Kunst so begreifst, dann ist es ja nicht mehr an ein Material oder an eine Tätigkeit, an letztendlich gar nichts mehr gebunden.

Till Steinbrenner:
Ja!

Guido Kratz:
Während ja die landläufige Vorstellung, auch meine eigene, immer noch an ein Material oder eine Tätigkeit gebunden ist.

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Till Steinbrenner:
Für mich ist freie Kunst nicht durch die Kunst sondern durch die Freiheit definiert, und die Freiheit ist eben auch unabhängig von Material und von diesen ganzen Erwägungen. Das ist wirklich, und ich nehme den Begriff der Freiheit wirklich sehr ernst, und ich glaube dass, wenn man es zuende denkt, nirgends so weit gelebt werden könnte wie in der Kunst. Deswegen muss auch überall Kunst hin, überall. Weil diese Freiheit so wichtig ist.

Guido Kratz:
Auch wenn es ein Bild ist?

Till Steinbrenner:
Ja, notfalls auch dann.

Guido Kratz:
Ich habe jetzt deine Aussage so verstanden, dass man sich Bilder oder Fotografien hinhängt, um an dieser Illusion der Freiheit teilhaben zu können. Aber du hast es andersherum gemeint?

Till Steinbrenner:
Ja, das Problem ist, das die meiste Kunst, die auch in Unternehmen hängt, ja nichts mit Freiheit zu tun hat in Wirklichkeit, sondern mit der gleichen Routine, mit der auch bei Volkswagen Hinterachsen entwickelt werden. Da findet irgendein Kunststudent im vierten Semester irgendeinen Trick heraus, der Prof sagt, das ist super, ich habe einen Galeristen, und da gehen wir mal hin. Und dann geht man dahin und der der Galerist sagt, super, das verkaufe ich, aber male mir noch ein paar mehr, aber in Rot. Dann macht der Künstler die in Rot. Und nach fünf Jahren sagt der Galerist, du musst dich neu erfinden. Und dann macht der Künstler die in Grün. Und dann läuft das eine Weile gut. Und das ist das normale Vorgehen. Genau so, und das ist kein Witz. Ganz traurig. Und das wird als Erfolg wahrgenommen. Ist aber eigentlich kein Erfolg, sondern ist eigentlich vollkommenes Scheitern. Dann kann ich gleich bei VW Hinterachsen bauen. Das ist das Gleiche. Nur nicht auf Leinwand.

Guido Kratz:
Ja, aber was ist zum Beispiel dann mit dem Künsten wie Tanz oder der Musik?

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Till Steinbrenner:
Also in der Musik muss man trennen. Da gibt es die reproduzierenden Künste, da werden jetzt die Orchestermusiker auf mich einschlagen, wenn die das hören, und die schöpferischen Künste. Ich glaube dass ein reproduzierender Künstler eigentlich ein Handwerker ist. Und zwar ein großartiger, ich kann das gar nicht hoch genug schätzen, und ich bin ein totaler Verehrer von gutem Handwerk. Aber es ist keine Kunst. Es ist für mich gar keine Kunst, wenn man den Mozart noch ein bisschen geiler spielen kann. Es ist einfach allergeilstes Handwerk. Es ist genauso toll, es ist genauso wichtig, aber es hat mit Kunst überhaupt nichts zu tun. Das Stück geschrieben zu haben ist Kunst, ja.

Guido Kratz:
Und sonst in der Musik?

Till Steinbrenner:
Ja immer wenn ich mir ein Stück ausdenke, dann ist das, wie wenn ich ein Bild male oder als wenn ich mir wahlweise vorstelle, wie es ist, wenn ich den vierten Stock im Firmengebäude wegsprenge. Das ist immer ein schöpferischer Akt. Gut, machen, weitermachen. Man muss zum Beispiel in künstlerischen Workshops immer ganz ganz viel Arbeit darein investieren, dass die Leute nicht anfangen, dass zu reproduzieren, von dem sie glauben, dass es Kunst ist. Also die haben dann einen Dali gesehen, einen Picasso, irgendein drittes Werk, von dem sie vergessen haben, von wem es war. Das haben die so im Kopf und dann sagen sie, wir machen jetzt Kunst und dann versuchen sie, sich da anzupirschen und das nachzuahmen. Das ist aber nicht Schöpfung, das ist Nachahmung. Das ist verheerend. Das ist ganz furchtbar, das ist eine Kurve nach unten und nicht nach oben. Das ist das Schlechte, denn die versuchen, was nachzuahmen was lange tot ist. Man muss sie dahin bringen, dass sie etwas schaffen. Das sie das, was da ist verlassen, dass sie Möglichkeiten und Begrenzungen überschreiten. Das ist das Entscheidende. Und das tut man nicht, indem man Picasso kopiert. Was man gar nicht kann, weil er nämlich wirklich gut war – vor fünfzig Jahren.

Guido Kratz:
Es geht ja darum: man kopiert etwas, weil man vielleicht die Malweise lernen will und kommt dann, wenn man die ganze Technik zur Verfügung hat, zu etwas Neuem.

Till Steinbrenner:
Wir hatten diesen Sparkassenpreis gewonnen und wurden gefragt, ob wir im Kunstverein einen Workshop machen zu einem Thema, das wir uns ausdenken und der Workshop war ortsspezifische Kunst, wir hatten 15 Teilnehmer. Dann sind wir durch die Stadt gegangen und haben uns ein paar Sachen angeguckt, die ortsspezifisch entstanden sind, die Nanas und so. Und dann sind wir ins Rathaus, weil wir wussten, das im Rathaus gerade ein Wettbewerb ausgeschrieben war, eine ortsspezifische Arbeit für das Rathaus zu einwickeln für ein Jahr. Und da haben wir den 15 Leuten gesagt: „So, da sind wir jetzt, wir haben zwei Stunden Zeit, verteilt euch ein bisschen, quatscht ein bisschen. Wir haben uns ortstypische Arbeiten angeschaut. Ihr habt alles Geld der Welt, ihr habt alle Möglichkeiten der Welt, denkt euch was aus. Bespielt das Rathaus, das kann einen Pfennig kosten und einen Sekunde dauern oder es kann aber auch bedeuten, dass man das Ding abbauen und in Japan wieder aufbauen muss, vollkommen egal. Ihr seid frei, bespielt das Rathaus, macht irgendwas.“ Und das war wirklich toll, weil die Leute haben wirklich alle kapiert, dass sie jetzt mal ran dürfen. Und dass sie wirklich alle Grenzen überschreiten dürfen, und die haben alle Grenzen überschritten. Ich kann dir die Arbeiten gar nicht mehr sagen, aber es war wirklich großartig. Es war super. Das hat in Form, Dimensionen, in jeder Hinsicht den Rahmen gesprengt. Jede einzelne Arbeit hat mindestens einen dieser begrenzenden Rahmen gesprengt, und keiner hat irgendetwas kopiert. Keiner. Es geht, das kann man machen. Die wenigsten wären umsetzbar, aber einige wären umsetzbar gewesen, doch. Einige hätte ich genommen und hätte ihnen bei einem guten künstlerischen Wettbewerb einen Preis dafür gegeben.

Guido Kratz:
Also kann ich zusammenfassend sagen, wenn man Kunst in Unternehmen tragen will, muss man sich auf einiges gefasst machen. Man muss Mut zum Risiko haben, man sollte denjenigen die daran beteiligt sind, die größtmögliche Freiheit geben und ihnen alles erlauben, dass sie auch Grenzen überschreiten können.

Till Steinbrenner:
Ja.

Guido Kratz:
Und dann kann man, eventuell und wenn man viel Glück hat, dabei etwas bahnbrechendes erwarten, so ähnlich wie in der Feldforschung.

Till Steinbrenner:
Gute Zusammenfassung. Und man kann aber, und das muss man auch dazu sagen, wie in der Feldforschung einfach scheitern. Und am Ende bleibt nicht übrig als ein bisschen Kosten. Wobei, ehrlich gesagt, und das ist ja der Witz: Was kostet es, wenn ich einem Künstler das sowieso schlecht genutzte Büro im zweiten Stock überlasse und die Kaffeemaschine?

Guido Kratz:
Und du hast vergessen den Schrank mit Wein.

Till Steinbrenner:
Und der Schrank mit dem Wein. Was kostet das schlimmstenfalls für ein Jahr? Fünfzigtausend Euro. Dafür kann ich keine mittleren Büroangestellte halten.

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Guido Kratz:
Und das wäre auch ein Plädoyer für die genügsamen Künstler.

Till Steinbrenner:
Ja, ja, das wäre ein Plädoyer dafür, dass geistige Kraft eine wirkliche erschwingliche Ressource ist, wenn sie abgerufen wird. Es ruft nur einfach keiner ab! Keiner ruft geistige Größe ab, alle rufen: kann jemand mit zehn Fingern Schreibmaschine schreiben oder irgend so eine Scheiße. Keiner ruft geistige Größe und keiner ruft revolutionäre Energie ab, alle rufen genau den Kram ab, den sie sich vorstellen können. Eine etwas schnellere Kutsche. Ein Auto will keiner. #kunstinunternehmen

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